Robert Frank: Les Américaines, Paris 1958.
Robert Frank: The Americans, New York 1959.
The Americans, 81 Contact Sheets von Robert Frank, Deluxe Edition, Tokyo: Yugensha 2009.
Robert Frank: Books and Films, 1947-2014, Steidl/Süddeutsche Zeitung, München 2015.

Eine Editionshistorie zu Robert Franks epochemachendem kleinen großen Fotoband The Americans liegt in vier sehr unterschiedlichen Ausgaben hier vor. Der Antiquar Eugen Küpper aus Münster stellte sie dem Podcast zu Verfügung.

Mit einem Guggenheimstipendium reiste der aus der Schweiz exilierte Robert Frank von 1955-1957 durch 47 Staaten der USA und brachte 28.000 Fotos mit. 83 davon wählte er für ein kleines Querformat (185 x 205 mm) aus, das Amerikaner in ihren natürlichen Habitaten zeigt und das in den Staaten zunächst niemand veröffentlichen wollte.

Der französische Verleger Robert Delpire wagte den Schritt, jedoch kam er dem Wunsch Franks: „Keine Texte, keine Seitenzahlen!“ überhaupt nicht nach und stellte jedem Foto Zitate berühmter Persönlichkeiten von Simone de Beauvoir, Henry Miller, William Faulkner, John Steinbeck und vielen anderen gegenüber.

Ein Jahr später 1959 und „nur“ noch mit einem Vorwort von Jack Kerouac versehen, erschienen The Americans dann auch dort, wo sie herkamen: in ‚God’s own country‘ und wurden, was auch sonst, verrissen: „meaningless blur, grain, muddy exposures, drunken horizons and general sloppiness“ wurde Frank vorgeworfen, der ja wirklich oft nicht durch den Sucher schaute, das aber mit voller Absicht, denn dieser Staat versetzte ja nicht viele seiner Bewohner*innen out of focus und wie nicht anders zu erwarten bei dem Band: sales were poor!

Wenngleich Kerouacs Vorwort da etwas gegenzusteuern vermochte. Sein Kultroman: On the road, 1957 erschienen, hatte allerdings eine nicht minder abenteuerlichen Publiaktionsgeschichte, die mit einer Manuskriptrolle aus aneinander geklebtem Butterbrotspapier von 40 Metern Länge begann.

Frank war ausgebildeter Fotograf, der für Harper’s Bazar arbeitete, wie mit Edward Steichen zusammen die große Nachkriegsfotoschau von 1955: The Family of Man für das MoMA auswählte, der eine streitbare Harmonisierung zugrunde lag, die nach den Wunden des Krieges alle Menschen als Vereinte zeigen wollte.

Obgleich es nicht Frank allein war, der die Street Photography ersann und wie ein straydog die Flüchtigkeit zementierter Gesellschaftsverhältnisse und unüberwindbarer Standes- und Rassenhürden Amerikas festhielt, denkt man an Helen Levitt und Gordon Parks, später dann an William Eggleston, Stephen Shore, Gary Winogrand, Lee Friedlander und Joel Sternfeld, war er doch einer ihrer frühesten Vertreter, nach Dorothea Lange und Walker Evans, der Frank noch bei der Bewerbung zum Guggenheimstipendium half.

In Deutschland kannte man seit August Sander die Menschen des 20.Jahrhunderts, eine Zusammenschau aus gestellten (meist) Ganzkörperporträts vom „Jungbauer“ über „die elegante Frau“ bis zu „Menschen die an meine Tür kamen“ wie, im letzten Kapitel dann: „Die letzten Menschen. Idioten, Kranke, Irre und die Materie.“

Frank hingegen kategorisierte nicht mehr, vielmehr legte das Streunen an sich die unüberwindbaren gesellschaftlichen Hürden offen, selbst oder gerade dann wenn, wie beim Schuhputzer in der Herrentoilette, die Stände in einem einzigen Bild aufeinandertreffen.

Die feinen Leute mit dem leeren Blick an der Börse, verwaiste Zapfsäulen unter einem Schriftzug SAVE in the middle of nowhere, sich anschließende Fotos mit verlassenen Kreuzen, ein leerer Barbierstuhl, der an den elektrischen Stuhl erinnert und immer wieder die Stars + Stripes, mal als Sonnenschutz in einem verwilderten Garten oder gleich als den Menschen verdeckendes Tuch, wie man auch sein Auto abdeckt oder die Leiche eines Autounfalls. Ein vertrockneter Zeuge Jehovas, der ein AWAKE! In den Händen hält, ein Liftgirl, von dem Jack Kerouac sich Name und Adresse erbittet im letzten Absatz des Vorworts: „Und ich frage: Das liebe kleine einsame Liftgirl, das in einem Aufzug voller Schemen seufzend nach oben blickt, wie ist ihr Name & wo wohnt sie?“

Der mehreren kiloschweren japanischen Ausgabe von 2009 mit den 81 Kontaktbögen lässt sich entnehmen, aus welcher Serie Frank sich dann für das jeweilige Foto entschieden hat, das er final in die 83 Fotos aus The Americans mitaufnahm.

Ob er selber damit glücklich gewesen ist, mit so einer Prachtausgabe, die ihm eine lichte und leichte Box zimmerte, in den noch seine Signatur eingebrannt wurde, bleibt zu bezweifeln.

Bei Ausstellungen hatte er schon mal entsetzt moniert: „Ihr habt meine Bilder gerahmt!“

Erst Steidl hat offenbar verstanden, mit einer komplett als Zeitung gedruckten Werkausgabe von 2015, die auf den ersten Blick wie eine herkömmliche Süddeutsche Zeitung anmutet und für 10 Euro begleitend zur Ausstellung erschien, was Frank vorschwebte, als er sein Werk in 30 Zeitungsbahnen auf die Wände brachte: „Am Ende der Ausstellung wird alles weggeworfen, keiner verdient damit Geld!“ freute sich Frank.

Ironie des Schicksals, dass diese billige Zeitungsausgabe heute hoch gehandelt wird, in einer deutschen und englischen Version, 2017 wieder aufgelegt wurde und schon wieder vergriffen ist.

Steidl brachte Frank 2014 in seine Fischerhütte in Nova Scotia: In America vorbei, ein Fotoband in dem noch mal 113 Abzüge aus den 28.000 abgebildet sind, die er für The Americans schoß. Frank war der Band zu dick, er bemerkte aber nicht unironisch: „Schon wieder ein Geschäft gemacht, liebe Sorgen leckt mich am Arsch, bis morgen!“

Franks Frau June Leaf, selbst Künstlerin, hatte auch eine dezidierte Meinung dazu, wie Kunst heute in der Welt sein sollte, oder besser nicht: „No more boring art, beauty for the Moment!“

Und, glauben wir Frank einfach, Fotos bringen ihre eigene Bildsprache mit und hier wurde schon wieder viel zu viel über sie geschrieben. Jeder Fotoband ist eine Ausstellung für zuhause. No more words needed.

Mit „Beauty for the Moment“ machte dann auch der Steidl-Zeitungskatalog auf.

2019, während der großen Robert Frank Schau im C/O Berlin, verstarb Frank, kurze Zeit später eröffneten die Rikehallen mit Roger Melis die Fotoschau: Die Ostdeutschen. (XO)